Die guten Menschen von Stuttgart

Eine Satire
Viele Kommunen haben Geldschwierigkeiten. Aus verschiedenen Gründen. Nicht nur aufgrund geringerer Steuereinnahmen oder besonderer Aufwendungen beispielsweise aufgrund von Straßenschäden in Folge des strengen Winters. Manche Kommunen haben sich schlicht verkalkuliert, über ihre Verhältnisse gelebt und sich gigantische Projekte (etwa städtebaulicher oder verkehrstechnischer Art) aufgeladen und/oder sind mit ihrem Geld schlicht nicht ordentlich umgegangen. Natürlich gibt es auch ganz arme Gegenden in Deutschland: Arbeitslose ohne Ende, leere Straßenzüge und wüstenartiges Umland, von Alten und Kranken bevölkert. Also zum Beispiel Stuttgart. Was auch immer die Gründe waren, so stehen zur Lösung des Problems zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Reduzierung der Ausgaben und/oder Erhöhung der Einnahmen.


Natürlich ist es bedauerlich, wenn es einige Freibäder oder Sportstätten weniger gibt oder höhere Abgaben bezahlt werden müssen. Wenn sich die Einschränkungen bzw. Mehrkosten auf alle Bürger verteilen, ist dagegen nichts einzuwenden, dass der "Gürtel enger geschnallt" werden muss. Das ist ja nichts Neues, sondern begegnet uns auch auf anderen Ebenen: in der Gesundheitspolitik, bei der Rentenerwartung der heute Berufstätigen oder bei der Steuerlast, die diejenigen zu tragen haben, die etwas zur Wertschöpfung in dieser Gesellschaft beitragen. Ich will nicht sagen, dass man sich daran gewöhnt oder diese Art zu "wirtschaften" jemals gutheißen kann. Aber man findet sich damit ab und wundert sich auch nicht mehr, wenn nach den Wahlen nicht das passiert, was vor den Wahlen versprochen wurde oder wenn Parteien, die relevanten Wählergruppen gegenüber Nähe demonstrieren, nach der Wahl "der Rock näher ist als die Hose", weil man ja ohnehin eigentlich auf die Mitte der Gesellschaft zielt (wie fast alle anderen Parteien auch). Mancher geht dann einfach nicht mehr hin zu Wahl (da fällt mir ein: Wegbleiben könnte man ja auch besteuern) oder macht gar nicht mehr sein Kreuz bei der guten alten CDU. Warum auch.
                                                                   
Wenn man nun aber wie in Stuttgart selektiv eine Steuer erfindet, die gezielt einen Teil der Gesellschaft betrifft, den man damit scheinbar von einem bestimmten Verhalten (z.B. dem Hobby Jagd oder Sportschießen oder Sammeln) "heilen" will, gehört das nicht mehr zum üblichen Instrumentarium der Geldeintreiberei. Nein, das ist schlicht genial.
Die scheinbare moralische Überhöhung dieses Tuns, ist das Herausragende. Die schrecklichen Amokverbrechen, die potentiell gefährlichen Legalwaffenbesitzer, das Horten von Waffen und Munition (Gott sei bei uns) in der Privatwohnung (Schreck lass nach). Diese Collage aus moralischer Entrüstung, aus zivilgesellschaftlichem Entsetzen, dies scheint ja geradezu nur einen Schluss zuzulassen: Diese Leute, die Verantwortlichen für diese latente Gefahr, die Schuldigen, die Legalwaffenbesitzer, die sollen zahlen. Fakt ist: "Mit einer Waffenbesitzsteuer will Stuttgart ab dem 1. Januar 2011 das kommunale Finanzloch stopfen." schreibt Wild und Hund. "Damit könnte sie 1,5 Millionen Euro pro Jahr einstecken. Die Idee dazu hatte Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). Während Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) in einer ersten dpa-Meldung sagte, dass der Anstoß für die Waffensteuer der Amoklauf von Winnenden im März 2009 war, gibt Finanzbürgermeister Föll im Gespräch mit Wild und Hund unumwunden zu, dass es ihm lediglich um die kommunalen Einnahmen geht." Schade, wir hatten wirklich an das Gute geglaubt. Aber er sagt es wirklich: "Michael Föll: Stuttgart als Landeshauptstadt hat große Finanzprobleme. Wir haben prüfen lassen, welche kommunalen Aufwandssteuern noch möglich wären. Die Waffenbesitzsteuer hat sich als rechtlich zulässig erwiesen." Und wie schön ist es, wenn das nicht nur ordentlich Geld bringt, sondern damit auch noch einige Menschen "überzeugt" werden können, von ihrem potentiell schädlichen, jedenfalls aber unsinnigen Tun abzulassen. Denn der Politiker sagt weiter: "Wer bis zu 31. Dezember 2011 seine Waffen abgibt, muss die Steuer nicht zahlen. ... Wer die Waffe gewerblich oder dienstlich nutzt, muss die Steuer nicht bezahlen. Jäger dürfen drei Langwaffen steuerfrei besitzen. Jede Waffe darüber hinaus muss versteuert werden. Waffen in der Hand von Sportschützen obliegen auch der Abgabe. Wenn sie allerdings dem Sport- oder Schützenverein gehören und in der Vereinsstätte sicher verwahrt werden, sind sie steuerfrei. ... Momentan denken wir an 100 Euro pro Waffe und Jahr. Allerdings werden wir noch differenzieren. Wahrscheinlich nach Kalibern." Das sind doch viele gute Nachrichten in einer einzigen Steuer: Die Waffen sollen in die sicheren Vereinshäuser, das ist viel besser als zu Hause, nur die bösen, großen Kaliber werden besteuert, wer Waffen abgibt - entschädigungslos natürlich - zahlt nichts (weil diese Amnestie neulich hat auch noch nicht so gut eingeschlagen). Warum sich also aufregen? Wer ein guter Mensch ist und von seinem dummen Tun ablässt (also keine armen Tiere mehr schießen, nicht mehr öde rumballern oder stumpf auf die Sammlung starren). Das dwj führt zwar alle wissenschaftlich abgesicherten Argumente gegen diesen Unsinn auf. Aber moralisch kann man natürlich oben drüber über die Argumente hinwegschweben.
          
Backyard Safari hat sicherlich Recht, was die rechtliche Bedenklichkeit dieser Idee aus dem Schwabenland, dem Hort von Ruhe und Ordnung, angeht. Und Wild und Hund und dwj erklären dieses Vorgehen einmütig als "Abzocke". Tetra Gun Waffenblog und Pro Legal haben natürlich auch recht mit ihrer Entrüstung und mit der Frage, wann anderes scheinbar nicht mehr sozial-adäquates Verhaltenmoralisch wegbesteuert wird. Ich könnte noch ergänzen: Fleisch essen muss zwangsbesteuert werden, Besitz von Angeln, Besitz pornographischer Erzeugnisse, Nutzen von Schimpfworten und die Geduld verlieren. Auf die Schnelle fällt mir nichts ein, was noch schlimm und sozial unerwünscht ist. Aber diese moralinsaure Perspektive hat gewiss noch größeres Potential. Eigentlich wundert mich diese Idee aus Stuttgart nicht wirklich. Es ist doch immer schön, wenn man nicht nur die Hand aufhalten, sondern sich dabei auch noch gleich viel besser fühlen kann, oder? Es kann so einfach sein, zu den guten Menschen zu gehören.
             
Aber unter uns: Sollen sie es doch versuchen. Dreistigkeit siegt nicht immer. Erst wird Mal dagegen geklagt und protestiert. Und wenn unsere Richter dies hinnehmen sollten und unsere Politik dieses Tun dieses Städtchens da unten auf der Landkarte billigt. Gut, dann ist es so. Dann ist es legal und wir müssen uns dran halten.
Moralisch einwandfrei ist es deswegen noch nicht. Und dies kann jeder der Betroffenen so bewerten wie er will. Für mich gilt: Dann dürfen sie auch ihr Fallwild nachts alleine wegtragen (ab dem dritten Stück?) und ihre toten Vögel aufsammeln. Dann gibt es schön „Dienst“ nach Vorschrift.
Und sie können sich jemanden anderen suchen, der sie wählt, der sie zu wahlkampftauglichen Veranstaltungen einlädt oder dem sie ihre Medallien umhängen können, weil man damit so schön in die Zeitung kommt.
Und wenn dann wieder einer von denen mit Luftballons in der Fußgängerzone steht, das sind meist die unteren Chargen, dann sage ich ihm, was ich von seiner Truppe halte. Er kann’s ja weitergeben. Und beim Volksfest und in der Kneipe? Nun, ich will nicht mit jemandem reden oder neben jemandem sitzen, der mir vorher eine lange Nase gezeigt und einige Hunderter abgenommen hat. Ich kann ja einfach gehen.
Und vor allem werde ich jedem, der es hören will oder nicht, sagen, was ich von diesen Leuten halte. Und ich kann sehr, sehr viel reden.
Und Stuttgart? Man kann ja auch woanders hinfahren, nicht wahr.
         
Übrigens: Gegen den illegalen Waffenbesitz, etwa den von Kriminellen, tun sie nichts. Warum auch: Erstens zahlen die ungern Steuern (bei den Rockerclubs z.B. läuft schon das mit der GEZ nicht so rund), zweitens geben die auch ungern etwas her, im Gegenteil, und drittens sind die vielleicht auch irgendwie gefährlich.