Hermann Löns. Jäger und kein bisschen unmodern.

Früher hatte ich nur eine verschwommene Vorstellung davon, wer Hermann Löns war und ehrlich – es interessierte mich auch nicht weiter. Dann bekam ich irgendwann „Kraut und Lot“ in die Hände und war begeistert. Das waren Zeilen eines echten Jägers, dessen Fähigkeit zum Erleben und zum Ausdruck seines gleichen sucht.

Aber es dauerte noch eine Weile bis ich mich etwas mit seiner Biographie beschäftigte. Nun ja, ich war jetzt gerade erst in der Lüneburger Heide, einem Reiseziel, das ich früher für indiskutabel gehalten hätte. Als Soldat habe ich die Gegend ganz gut kennengelernt, aber das ist etwas ganz anderes. Jetzt war es die Faszination Löns, die mich dorthin führte. 
   
Ich will mich bei den biographischen Angaben zu Löns kurz halten, das ist nachlesbares Lexikon-Wissen. Löns wird am 29.8.1866 als Sohn eines Gymnasiallehrers in Westpreußen geboren. 1882 leistet er seinen Militärdienst als Einjährig Freiwilliger ab und studierte Medizin, Naturwissenschaften und Mathematik in Münster, Greifswald und Göttingen. Schließlich gibt er sein Studium ohne Abschluss auf und wird 1891 Hilfsredakteur bei der Pfälzischen Presse in Kaiserslautern. Bis 1893 wechselt er mehrfach den Arbeitgeber und heiratet das erste Mal. Er veröffentlicht erste Gedichte. 1901 lässt er sich scheiden und es erscheinen „Mein goldenes Buch“ und „Mein grünes Buch“, in denen Löns das Pflanzen- und Tierleben der Lüneburger Heide beschreibt. 1902 heiratet er erneut. Er schreibt weiter und ab 1909 erscheinen Romane aus der niedersächsischen Bauernwelt, in denen oberflächliche Kritiker heute völkisches Gedankengut zu finden glauben. 1910 erscheint sein Roman „Der Werwolf“, der den bewaffneten Widerstand eines niedersächsischen Bauerndorfes gegen Kriminelle, Deserteure und umherziehende Söldner und Heerhaufen im 30jährigen Krieg beschreibt. Auch das nimmt man Löns heute übel, so als sei die Verteidigung von Leben, Freiheit und Eigentum nicht eines der elementarsten Menschenrechte und der 30jährige Krieg nicht eine der brutalsten Abschlachtereien der Zivilbevölkerung. Löns trennt sich 1911 von seiner zweiten Frau. 1914 meldet er sich freiwillig und fällt am 26. September 1914 beim Angriff auf Reims. Soweit das überall nachlesbare Biographische.
  
Erstes Löns-Denkmal auf dem Wietzer Berg bei Müden/Örtze (1921)

Forscher oder Waldläufer

Was mich mehr interessiert hat, fängt in der Kindheit von Löns an, als er in Westpreußen stundenlang alleine in der Natur ist und die Wälder und Seen erforscht, die diese schöne Landschaft zu bieten hat. Im Gegensatz zu mir, der ich auch als Kind jede freie Minute draußen verbracht habe, ermöglich ihm sein wissenschaftliches Interesse bereits als Heranwachsendem naturwissenschaftlichen Kommissionen als Sachkundiger zu dienen, Schulen und Museen mit Sammlungen zu bedenken und wissenschaftliche Aufsätze zu verfassen. Aber er tut das nicht als Bücherwurm, sondern ihm haftet bei all seinem wissenschaftlichen Interesse schon als Kind viel mehr von einem Waldläufer und Jäger an.
   
Löns wird trotz seines katholischen Elternhauses Waffenstudent und tritt in Greifswald der Turnerschaft Cimbria bei, später der Landsmannschaft Verdensia. Er tritt auf Mensur und trinkt mehr, als gut für ihn ist. Sein Studium gerät ins Stocken und es kommt zu einem schweren Streit mit seinem Vater und letztlich, auch aus Geldmangel, zum Studienabbruch.
   
Gerne "vergessen" wird heute in Hermann Löns' Biographie, dass er einer der ersten echten Natur- und Umweltschützer in Deutschland war. Vielleicht paßt das den modernen Naturschützern nicht in ihre oft jagdfeindliche Weltanschauung. Sei es drum. Löns war jedenfalls u.a. 1911 Mitgründer des Heideschutzparks am Wilseder Berg, eine der ersten geschützten Flächen überhaupt in Deutschland, die später zum Naturpark Lüneburger Heide wurde. Dieses Wirken des Jägers und Naturliebhabers Löns erinnert an den US-Präsidenten und Großwildjäger Theodore Roosevelt, der für die Entstehung der Nationalparks in den USA mitverantwortlich zeichnete.
Schon der Studienabbruch wird in den alten Löns-Biographien selten erwähnt. Genau so wenig hört man davon, dass er seine erste Stelle wegen Trunkenheit und Unpünktlichkeit verliert, sich mit seiner ersten und später auch seiner zweiten Frau entzweit, von seinen Affären mit zwei deutlich jüngeren Frauen, seinem zeitweilig zielloses Herumirren in halb Europa und seinen Schwierigkeiten, sich anzupassen. Aber letztlich ist all das, außer, dass es Ausdruck seiner wenigstens zeitweilig zerrissenen Persönlichkeit ist, auch nicht wichtig. Wenigstens für mich nicht. Löns ist fast 50, als er als Kriegsfreiwilliger eines Infanterieregimentes an der Front in Frankreich fällt. Einen sicheren "Druckposten" als Kriegsberichterstatter in der Etappe wollte er nicht.
  
   
Eine Art von Rehabilitation
     
Löns startet als Sohn einer bildungsbürgerlichen Familie ins Leben. Der Dienst als Einjährig Freiwilliger bedeutet, dass er nicht nur von zu Hause aus über die dafür notwendigen Mittel verfügt (Ausrüstung, Unterkunft etc. mussten selbst finanziert werden), sondern auch über die vorgeschriebene höhere Bildung. Der Weg zum Reserveoffizier war damit vorgezeichnet – im Wilhelminischen Deutschland eine Art Eintrittskarte die bessere Gesellschaft. Mit fertigem Studium und einer adäquaten ersten Stelle, wäre aus Löns vermutlich eine der wohlhabenden gesellschaftlichen Stützen des Kaiserreichs geworden. Für sein bürgerliches Scheitern, für das unsteter Lebenswandel, Trinkerei und gescheiterte Beziehungen eher Begleiterscheinungen sind, als Ursachen, rehabilitiert er sich durch seinen den Tod als Freiwilliger vor dem Feind in gewisser Weise.
Seine Verehrung ist durchgängig und beginnt und endet nicht mit dem Dritten Reich. In Weimar genauso gut wie in der Bundesrepublik werden Löns-Gedenksteine errichtet, Bücher gelesen und bis in unsere Alltagskultur hinein ist Löns als eine Art Archetyp des Jägers präsent.
          
Aber auch dieses Bild des lodengrünen bärtigen Hutträgers wird Löns nicht gerecht. Neben dem feinen Empfinden von Natur und Jagd zeichnet ihn die Gabe aus, das Erlebte und Gesehene auf eine faszinierende Art wiederzugeben. Übersehen wird, insbesondere in unserer jagdkritischen Zeit, dass Löns sich für die Gründung des Naturparks Lüneburger Heide einsetzte und der Tierwelt gegenüber nicht nur wissenschaftliches Interesse aufbrachte, sondern auch eine Verpflichtung zur Hege, zur Bewahrung eines artenreichen und gesunden Wildbestandes in einem entsprechenden Lebensraums empfand:
           
           
„Das Schießen allein macht den Jäger nicht aus;
Wer weiter nichts kann bleibe besser zu Haus.
Doch wer sich ergötzet an Wild und an Wald,
Auch wenn es nicht blitzet und wenn es nicht knallt,
Und wer noch hinauszieht zur jagdlosen Zeit,
Wenn Heide und Holz sind vereist und verschneit,
Wenn mager die Äsung und bitter die Not,
Und hinter dem Wilde einherschleicht der Tod;
Und wer ihm dann wehret, ist Weidmann allein,
Der Heger, der Pfleger kann Jäger nur sein.
Wer bloß um das Schießen hinausging zur Jagd,
Zum Weidmanne hat er es niemals gebracht.“
   
 
"Kraut und Lot
Neben diesen grundsätzlichen Aussagen möchte ich in einigen wenigen weiteren Zitaten zeigen, wie modern Löns eigentlich jagdlich gesehen ist. Das erste Zitat betrifft den Fuchs – aber auch die ganze Misere moderner Jagdpolitik, käuflicher Jagdpresse und verkrusteter Denkstrukturen von Teilen der Jägerschaft:
 „Die Jagd ist heutzutage in Deutschland, fasst man sie rein wirtschaftlich auf, ein Nebenzweig der Land- und Forstwirtschaft; die Interessen des Landwirtes, Forstmannes, Waldbesitzers und ähnlicher Berufsarten, wie des Gärtners und Fischzüchters, sind also stets den Interessen des Jägers voranzustellen. … Nur ganz wenige Jäger, und meistens nur solche, die entweder Land-, Forst- oder Nutzgartenbesitzer oder Forstverweser sind, vermögen bei der Beurteilung des von dem Haar- und Flugraubzeuge in der Wildbahn angerichteten Schadens den Nutzen mit in Rechnung zu bringen, den die Räuber in anderer Weise bringen. Der größte Teil der Jäger ist auch gar nicht imstande, diesen Nutzen zu erkennen. … Sie leben in dem Wahne, dass der Fuchs nur von Hasen, Hühnern, Fasanen usw. lebe, und als Flugraubzeug schlechthin gilt ihnen alles, was einen krummen Schnabel und wehrhafte Griffe hat, mag es nun der böse Hühnerhabicht oder der reizende, harmlose und durch das Vogelschutzgesetz wenigstens auf dem Papier geschützte Turmfalke sein. Es ist noch nicht lange her, da wurde in der Jagdpresse unausgesetzt der Krieg gegen das Raubzeug gepredigt. Man bekam fast keine Nummer in die Hand, in der nicht die Losung: ‚Tod dem Raubzeug!‘ und das Feldgeschrei: ‚Fort mit dem Raubgesindel!‘ zu lesen war, meist unter höchst verdächtiger, stark nach Provisionsschriftstellerei riechender Empfehlung dieses oder jenes Fallenfabrikanten. Diese kindische Hetze … hat sich ein wenig gelegt, seitdem Fachmänner … den unumstößlichen Nachweis geführt hat, dass der Glaube, der Bussard und einige andere Raubvögel seinen gefährliche Jagdschädlinge, ein Irrwahn naturwissenschaftlicher Laien sei. Auch die Meinung, dass das Haarraubwild jagdlich nicht so schädlich ist, als der Durchschnittsjäger meist annimmt, bricht sich mehr und mehr Bahn. Der Fuchs ist ein hervorragender Mäusevertilger, der in der Hauptsache von Mäusen und nur nebenbei von Wild lebt, worunter außerdem das angeschweißte und das gefallene Wild noch mindestens die Hälfte bildet. Außer Mäusen vertilgt der Fuchs noch eine Unmasse von Kerbtieren und deren Larven“
Löns verschont natürlich auch die Jagdkritiker nicht:
„Eine Menge von den Leuten gibt es, die von der Jagd sagen, sie sei ein rohes Vergnügen, ein Sport, nicht würdig eines gebildeten Menschen. Hasenbraten essen sie aber sehr gern, lassen auch Rehrücken und Rebhühner nicht stehen; aber nachdenken tun sie nicht gern, denn sonst würden sie einen solchen Unsinn nicht daherreden. Die Bedeutung der Jagd wird im Allgemeinen viel zu gering eingeschätzt. Ihr reiner Nutzwert in volkswirtschaftlicher Hinsicht entzieht sich zu sehr der allgemeinen Kenntnis, da wir weder im Reiche noch in Preußen eine Jagdstatistik besitzen. Die von Preußen alljährlich veröffentlichte Zusammenstellung des in den Staatsforsten erlegten Wildes gibt nur einen ganz schwachen Einblick in die wirtschaftliche Bedeutung der Jagd und ihrer Nebenzweige.“
Und weiter beschreibt er das auch heute noch ganz moderne Bedürfnis nach Naturnähe, das die spätberufenen Enddreißiger und Mittvierziger und die zunehmend vielen, auch jungen Frauen in die Jagdschulen und zu den Kursen der Kreisjägerschaften führt:
 „Wenn nun auch in den letzten Jahrzehnten; in denen die Lebensführung der Bevölkerung Deutschlands viel künstlicher geworden ist, der rein städtische Sport eine gewaltige Ausdehnung erfahren hat, so haben doch die ursprünglichsten Sportarten, die Jagd und die Fischerei, in demselben Maße an Umfang gewonnen. Die Kultur drängt unser Volk immer mehr von der Natur ab; darum greift es begierig nach allem, was es wieder der Natur, dem großen Körper- und Seelenbade, zuführt. Wenn auch scheinbar vielfach der Wunsch, den Kavalier zu spielen, so manche Leute bewegt, die Flinte in die Hand zu nehmen, schließlich liegt darin doch das unbewusste Bestreben, sich aus der Kompliziertheit des städtischen Lebens und der Hetzjagd des Berufes in einfachere Verhältnisse zu retten und durch eine urwüchsige Beschäftigung das Gleichgewicht zwischen dem überreizten Geiste und dem vernachlässigten Körper wiederherzustellen.“
         
Löns-Jagdhütte im Westenholzer Bruch (zwischen Westenholz und der A7)
             
Und schließlich ein Zitat zu den nach wie vor ständig neuen Jagdinnovationen und zu dem, was das Jagdhandwerk eigentlich ausmacht:
 „Als unmoderner Mensch gilt dagegen der, der nicht sofort auf jeden Modeschwindel hineinfällt, der erst abwartet, ob irgendeine Sache oder eine Richtung Sinn hat, der ruhig und besonnen an alles Neue oder Aufgewärmte herantritt und sich solange mit dem Alten und Bewährten behilft. Das war früher in der Jägerwelt üblich. Mit kalten Augen sah sich der Mann, der aus Beruf oder Neigung den grünen Rock trug, jede Neuerung auf dem Gebiete der Jagd an, und erst, wenn er sich genau davon überzeugt hatte, dass es sich um eine Einrichtung von wirklichem Nutzen handelte, machte er sie sich zu eigen, oft aber dann noch nicht einmal, denn der gerechte Jäger setzte einen gewissen bäuerischen Stolz darein, sich nicht von der Mode beeinflussen zu lassen, sondern möglichst lange die Ausrüstung zu tragen, die schon der Vater trug, zog er zu Holze. … Es versteht sich von selbst, dass, wie auf anderen Gebieten, auch in der Jagd nicht alles beim alten bleiben kann. Niemand von uns möchte den Hinterlader mit Zentralfeuerung entbehren; bei großen Hasenschlachten, in stark besetzten Hühnerjagden, auf der Suche auf Enten und Birkwild ist auch die Browning nicht zu verachten; der Drilling ist für den Jäger, der eine Heid- oder Moorjagd sein nennt, kaum entbehrlich; der Streifenlader ist bei der Jagd auf wehrhaftes Wild eine ausgezeichnete Waffe, und die rauchschwachen Treibmittel haben ihre unleugbaren Vorzüge dem alten Schwarzpulver gegenüber, freilich auch ebenso viele Nachteile."
Welche Konsequenzen hat der Einzug von Technik? Mehr als genug Jäger können schlichtweg damit nicht mehr Schritt halten – vom Beherrschen des Handwerkszeugs gar nicht zu reden:
„Welcher Jäger von heute ist imstande, seine Waffe gänzlich auseinanderzunehmen, blitzblank zu putzen und wieder zusammenzusetzen? Wer eine Selbstspannerwaffe führt, braucht sich dessen nicht zu schämen, denn um sich in deren verzwickten Klappmatismus hineinzufinden, muss man schon gelernter Mechaniker sein, aber auch die meisten Hahngewehrjäger überlassen das Reinigen der Waffe dem Jagdhüter oder dem Büchsenmacher, und unter hundert von ihnen gibt es kaum dreißig, die imstande sind, sich ihre Patronen selber herzustellen. … Man baut sich kaum mehr selbst einen Schirm oder Stand; denn dafür hat man den Jagdaufseher. In einer Viertelstunde aus Buschwerk eine Krähenhütte herzustellen, das bringen nicht viele Männer mehr fertig, und dass man, hat man eine kleine Säge, eine Hand voller Bretternägel und einen Hammer, in derselben Zeit einen leidlichen Hochsitz zurechtzimmern kann, das klingt den meisten Jagdjägern wie eine Fabel. Schießen kann man, das ist aber auch alles. Das schöne Gefühl, ganz auf sich selber gestellt zu sein, ist man draußen, niemand zu brauchen als seine beiden Augen und seine zwei Hände, das geht den meisten Jägern von heute ab.“
            
Gebräunte Männerhand oder Bauchspeck
           
Und wie viel Freude und auch Gesundheit kann man aus der körperlichen Betätigung ziehen, die einem die Jagd bieten kann, wenn man es nur zulässt:
„Es ist rührend anzusehen, wie solch ein Mensch, dessen Wiege von Asphaltdünsten umsäuselt wurde, sich anstellt, wenn er sich einen Stand schneiden will und einige Zweige von Daumenstärke beseitigen muss. Er hat ein Taschenmesser, das eine prachtvoll geperlte Hirschhornschale und mindestens zwanzig Klingen und dergleichen hat. Er zückt es und säbelt los. Im Schweiße seines Angesichts schnippelt er fünf Minuten an dem Zweige herum, zieht sich ein halbes Dutzend Wasserblasen in der Hand zu, bricht sich drei Scharten in die viel zu sehr gehärtete Klinge, reißt sich seinen schönsten Fingernagel ein und bricht schließlich den Zweig mit solchem Getöse herunter, dass der Rehbock sich fragt: »Aha! also werden wir für das erste nicht gerade dort zur Äsung austreten! …
Wer sich daran gewöhnt, den Standhauer zu führen, dem wird das Steigehauen bald nicht mehr eine Zwangsarbeit, sondern ein Vergnügen, um nicht zu sagen, ein Sport sein. Es wird ihm Spaß machen, eigenhändig seine Jagd mit einem Netze von Pirschsteigen zu überziehen, die Blößen miteinander zu verbinden und Buchten und Auskicke zu schlagen, wo es nötig, nützlich und angenehm ist: Lieb und wert wird ihm diese Arbeit werden, so lieb, dass er überhaupt nicht mehr weiß, dass es eine tote Zeit für ihn gibt. Ödet ihn der Asphalt, mopst ihn die Zivilisation, dann macht er, dass er hinauskommt. …
So stiefelt er dann fröhlich los, schuftet den ganzen Tag wie ein Holzhacker, hat hinterher einen Hunger, wie lange nicht, und schläft, dass ein Auge das andere nicht sieht. Auch macht er allmählich die Bemerkung, dass seine Weste anfängt Wellen zu schlagen, und mit Genugtuung stellt er fest, dass ein Fünfgroschenbrot in seiner Hose Platz hat, findet auch, dass sein Gang straffer, sein Blick frischer, seine Brust- und Armmuskeln weniger schlaff sind und dass ihn nicht mehr, wie im letzten Vorfrühling, der Atem in der Lunge schrammt. …
   

Heidelandschaft unterhalb des Löns-Denkmals am Wietzer Berg

  
Die uralte, schöne Freude an der körperlichen Selbstbestätigung ist wieder in ihm erwacht. Er freut sich, kann er, der Tag für Tag sechs bis acht Stunden am Schreibtisch sitzen muss, einmal seine Knochen üben. Früher turnte er, um den Bauchspeck loszuwerden, in staubdurchwirbelten Sälen, oder kegelte im himmelblauesten Tabakdampfe, radelte auf menschenüberfüllten, langweiligen Radfahrwegen, ja, spielte sogar, schauderhaft, aber wahr, trotz seiner fünfundvierzig Jahre, zum Vergnügen der Einwohner Tennis, wobei er sich halb schick, halb albern vorkam. Jetzt hat er alle diese Leibesübungssurrogate nicht mehr nötig. Mit dem Standhauer in der gebräunten Männerhand schafft er sich in reiner Luft frische Bewegung, bringt seine roten Blutkörperchen auf die doppelte Anzahl, reckt seine Lungen um ein beträchtliches aus, weiß nicht mehr, was Appetitlosigkeit ist, schläft schon ein, ehe er noch beide Beine im Bett hat, und wacht früh mit leichterem Kopfe auf, als wenn er, wie ehedem, nach dem Turn- oder Kegelabend noch die üblichen drei halben Liter zur Erzielung der nötigen Bettschwere in sich hineinschwemmte. Er ist überhaupt ein ganz anderer Kerl geworden, schindet seine Untergebenen nicht mehr so, wird nicht gleich nervös, unterhalten sich die Kinder anders als im Flüsterton, fällt nicht gleich um, schlägt eine Tür etwas plump zu, hat nicht andauernd einen Schnupfen und schmeißt keine neronischen Blicke um sich, ist der Braten einmal nicht weich genug.“
Ist das modern? Macht das Freude zu lesen? Denkt man das nicht selbst oft genug? Und das hat jemand, oder besser ein Vollblutjäger, ein Mann, ein Seelenverwandter vor über 100 Jahren geschrieben. Mir ist egal, für wen Hermann Löns ein Lodenonkel oder ein Trunkenbold und Frauenheld oder ein Ideologe ist. Ich würde diesen „Kritikern“ empfehlen, von ihrem schlichten Gemüt nicht auf diesen Dichter zu schließen, der wahrscheinlich ein bisschen von all dem ist - aber gleichzeitig größer als das. Denn wer es schafft, nach über 100 Jahren noch moderner zu sein, als der Großteil der heute lebenden Beteiligten, der ist schlicht „groß“ zu nennen.